Keramik als Bildträger


die Plastiken von Franziska Beilfuß



Wer im vergangenen September 2024 während der Berlin Art Week die jüngste Ausstellung der Malerin Franziska Beilfuß bei Ivy & Gault in Schöneberg besuchte, erlebte eine Überraschung, da dort nicht nur großformatige Ölgemälde von gewohnt strahlender Farbigkeit präsentiert wurden, sondern vor allem eine umfangreiche Reihe plastischer Arbeiten.
Die Symbionten, wie Franziska Beilfuß ihre Werkserie betitelte, können trotz aller Andersartigkeit ihre enge Verbundenheit mit den dynamisch bewegten, leuchtenden Bildwelten der Künstlerin nicht leugnen. Der für sie so typische energische malerische Gestus scheint sich mit Aplomb von der zweidimensionalen Beschränkung der Leinwand gelöst zu haben, um nun auch den umgebenden Raum für sich zu erobern, um Materie zu werden, sich zu erden und anschließend im dialogischen Rückbezug zur Malerei eine weitere, subtile Dimension zu schaffen, in der sich Farbklänge, visuelle Rhythmen, Brechungen, Harmonien und Dissonanzen durchmischen und überlagern. Das Spiel des Lichts, das Aufbrechen von Formen, die Spannung zwischen Ruhe und Dramatik, zwischen Aufwärtsbewegung und der Zugkraft der Gravitation, zwischen Auflösung und Neufindung, kurz der allgegenwärtige Wandel, sind Themen, die uns auch in der Malerei von Beilfuß begegnen.



Der Begriff der Symbiose gilt als Metapher der gelungenen artübergreifenden Beziehung schlechthin. Existiert man symbiotisch, ist man sich aber nicht einfach nur von Nutzen, das Arrangement ist meist eine Überlebensfrage, und durchaus existenzielle Fragen werden auch in dieser Werkserie berührt.
So sieht man sich stattlichen, modular geschichteten, auf unsichtbaren Metallstäben ruhenden Gebilden gegenüber, vegetabil sich in die Höhe schraubend, der Schwerkraft trotzend, urtümlich, abwartend, schweigsam verharrend. Daneben stößt man auf rätselhafte kleinere Einzelobjekte, die fossilen Fundstücken oder skelettalen Überresten gleichen, auch auf ein scheibenförmiges Artefakt, das an archaische Planetenmodelle erinnert und kosmische Assoziationen weckt, nicht zuletzt auf Formen, die Meereslebewesen ähneln und sich sanft in einer unsichtbaren Strömung zu wiegen scheinen.
Die Keramiken wurden teilweise farbig oder transparent glasiert, andere Partien roh belassen. Das abwechslungsreiche Relief der Außenhaut lädt ein, es mit Blicken abzutasten, zu verweilen, sich zu versenken.

Mal präsentieren sich die Oberflächen sandig, grob, zerklüftet, porös, blasig oder schwammig, dann wieder überraschen sie mit feinen, spiegelharten Flächen in kostbar glühenden mineralischen Farben.
Mitunter fühlt man sich plötzlich klein, verzwergt, wie der Besucher eines fremden Planeten, ein einsamer Reisender. Man glaubt, harsches Gestein zu spüren, den Staub der Pigmente auf der Zunge zu schmecken, das knirschende Geräusch zu hören, wenn sich die Module an den Berührungspunkten aneinander reiben.




Intimacy Of Strangers 3

glazed stoneware, steel, wood

100 x 50 x 33 cm

2024


Verwandelt sich geformter Ton in ein Keramikobjekt, sind elementare Kräfte am Werk; Feuer und Luft werden gleichsam zu Transformatoren und kreativen Mitgestaltern, die nicht zuletzt das Farbergebnis der verwendeten Glasuren maßgeblich mitbestimmen. Ein komplizierter, fast alchemistisch anmutender Prozess, den Blicken und dem unmittelbaren Einfluss des Künstlers entzogen.
Welche Rolle der Materialität zukommt, bleibt offen. Wichtiger als etwaige kulturgeschichtliche Assoziationen scheinen die spezifischen Eigenschaften des gebrannten Tons als Bildträger zu sein, er wird zur Bühne, auf der sich das Schauspiel des Kolorits der Glasuren entfaltet.
Die plastischen und malerischen Arbeiten von Franziska Beilfuß eint ihr Ursprung in der Energie der lebendigen Welt, die sie nachbilden oder spiegeln, und die faszinierend gestalteten, im permanenten Umbruch sich befindlichen Formen. Ihr Werk ist eine so geduldige wie beharrliche Befragung der Wirklichkeit, es kreist um Fragen von Zeitlichkeit und Entwicklung, Wachstum und Widerständigkeit, um Verflechtung und wechselseitige Abhängigkeit und sucht nach den hinter dem vermeintlichen Chaos ablaufenden Prinzipien und Prozessen.
So werden wir Zeuge einer ästhetischen Annäherung an die Rätsel des uns umgebenden Kosmos, eines individuellen Wegs des Erkenntnisgewinns, jenseits von Wissenschaft oder Spiritualität. Franziska Beilfuß‘ Kunst lockt uns in eine intuitive Zwischenwelt, und was wir auf dieser Reise entdecken, ist durchaus tröstlich, denn hier wird erzählt von der Macht, der Permanenz und der Wandlungsfähigkeit der Natur, von Ideenreichtum und Gewitztheit, von schier unerschöpflicher Kreativität und von enormen Potenzialen der Selbstheilung.


Petra Kurek





Petra Kurek

studierte Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Klassische Archäologie in Bonn. Sie lebt in Berlin, wo sie seit 2009 als freiberufliche Übersetzerin und Lektorin arbeitet.